Wer mich und meine Produkte kennt, weiß, dass alles, was ich anbiete, auf seine Reisefähigkeit und Multifunktionalität hin getestet sein muss. Es geht ja nicht nur um Zeit, sondern schlicht um Lebensqualität. Sich nicht belasten, leicht leben kann viele Formen haben, sowohl im Kopf als auch im Außen. Ein leichtes, vielseitiges und natürliches Material ist da ein guter Anfang. Musselin zum Beispiel.
Musselin klingt für viele erstmal ein bisschen altmodisch – so nach Jahrhundertwende, Sonnenschirm und Spaziergang im Schlosspark. Vielleicht auch irgendwie französisch, ein wenig orientalisch auf jeden Fall. Tatsächlich ließen die Damen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts ihre klassisch-griechisch inspirierten Empirekleider gerne aus hauchdünnem Baumwoll- oder Seidenmusselin anfertigen. Und weil sie die zarten weißen Sommerkleider auch bei winterlichen Temperaturen trugen, nannte man die unvermeidlich folgenden Erkältungskrankheiten nach dem Kleiderstoff.
Musselin eignet sich in der Tat prima für Sommerkleidung und stammt wohl aus heißeren Gegenden. Zumindest lässt das sein Name vermuten, der Stoff ist nach der nordirakischen Stadt Mosul benannt. Ursprünglich war er oft mit orientalischen Mustern bedruckt und traditionell aus Baumwolle oder Wolle gewebt. Mittlerweile gibt es Musselin auch aus Seide, Viskose oder Bambus. Was ihn so besonders macht, ist seine Herstellung. Bei der sogenannten Leinwandbindung werden zwei Schichten feiner, leicht gedrehter Fäden locker miteinander verwoben. Dadurch entsteht ein zarter, fließender Stoff mit weichem Griff, der atmungsaktiv, anschmiegsam und saugfähig ist – eben genau das, was man im Sommer möchte.
Das funktioniert aber auch andersrum: durch die Luftpolster der verwobenen Schichten kommt Zug nicht so leicht durch und in den Waben wird warme Luft gespeichert. Wenn die feinen Damen des Hofes ihren Musselin nicht nur als Kleid sondern auch als Halstuch oder Schultertuch getragen hätten, wären ihnen wohl etliche Erkältungskrankheiten erspart geblieben.
Die Eltern unter euch denken bei dem Wort „Musselin“ vielleicht eher an praktische Babytücher und Stoffwindeln als an orientalischen Charme. Kein Wunder, der feingewebte Stoff eignet sich bestens für zarte Babyhaut. Durch seine zwei Lagen ist vor allem Baumwollmusselin gleichzeitig anschmiegsam und saugstark und in seinen Verwendungsmöglichkeiten für Babydecken, Pucktücher, als Sonnenschutz oder Sommerschlafsack schier unendlich.
Wenn man Musselin in die Schublade „farbloses Windeltuch“ gesteckt hat, wird es allerdings Zeit, ihn da wieder rauszuholen. Als Mutter kenne ich die Fallen der Spezialisierung. Vor allem für Babys und Kleinkinder gibt es unendlich viel, was nur einem Zweck dient – und nach Erfüllung dieses Zwecks ausrangiert wird. Kleidung, Spielzeug, Zubehör. Nach wenigen Wochen oder Monaten ist das Kind darüber hinausgewachsen. Und da wir nur das Beste für unsere Kinder möchten, lassen wir uns trotzdem schnell davon überzeugen, dass wir dieses oder jenes spezialisierte Produkt unbedingt brauchen.
Als Erwachsene sind wir davon nicht ausgenommen. Die Modeindustrie lebt davon, dass jede Saison, also viermal im Jahr, eine komplett neue Kollektion auf den Markt kommt, die Konsumenten von Kopf bis Fuß neu ausstattet. Nur langsam passiert ein Umdenken. Slow Fashion ist ein Stichwort, das immer mehr kennen. Ganz langsam wird es auch in der Modewelt trendiger, Kleidung und Accessoires länger zu tragen und von vornherein mehr in Allrounder und Langlebigkeit zu investieren, als in den One-Season-Hit. Und vielleicht auch in Stücke, die nicht nur eine Person nutzen kann.
Dass Mutter-Kind-Produkte nicht immer auf den ersten Blick ihre Doppelfunktion verraten müssen und „ganz egoistisch“ Mutter auch dann noch schmücken dürfen, wenn das Kind in andere Bedürfnisse gewachsen ist, ist ebenfalls noch nicht so lange wieder im Trend. Mittlerweile erfüllt ein wirklich variables Mutter-Kind-Produkt im Idealfall wesentlich mehr als nur zwei Funktionen, und das auch unabhängig von der Mutter-Kind-Einheit.
Und da sind wir wieder beim Musselin, der als wärmendes Halstuch genauso funktioniert wie als leichte Sommerdecke. Für Reisefreudige lassen sich damit wahlweise die Schultern in der Stadt oder das Baby am Strand bedecken, ein schneller Turban drehen oder das Baby einpucken. Und wenn schon nicht als Empiretraum, dann kann Frau ihn zumindest als Wickelkleid tragen. Sogar als Nothandtuch eignet sich das saugstarke Material, das es dir selbst in der Baumwollvariante nicht übelnimmt, wenn du es in die Tasche knüllst. Leichter leben heißt hier eben auch weicher leben. Und Musselin ist bügelfrei, habe ich das schon erwähnt?